Militärregime kennt keine Gnade

In Myanmar werden erste Hinrichtungen seit Jahrzehnten durchgeführt

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 3 Min.
Demonstration gegen das Regime in Yangon nach den Hinrichtungen von vier Aktivisten der Demokratiebewegung
Demonstration gegen das Regime in Yangon nach den Hinrichtungen von vier Aktivisten der Demokratiebewegung

Wann genau die Hinrichtungen erfolgten, darüber schweigt sich das Regime bisher aus. Da laut Medienberichten aber noch am Freitag Verwandte via Videoschalte mit den Verurteilten sprechen konnten, wird von einem Vollzug der Exekutionen im Laufe des Wochenendes ausgegangen. Es ist das erste Mal seit über drei Jahrzehnten. Obwohl der Schritt nach den Vorankündigungen der zurückliegenden Wochen per se keine Überraschung darstellt, sind viele Menschen dennoch geschockt von dieser weiteren Grenzüberschreitung der Generalsclique um Armeechef Min Aung Hlaing, die sich am 1. Februar 2021 an die Macht geputscht hatte.

Zwei Namen der Getöteten sind landesweit gut bekannt. Ko Jimmy (53) gehörte noch zur Generation derer, die am studentisch geprägten Aufstand gegen ein früheres Militärregime ab dem 8. August 1988, der sogenannten 8888-Revolution, beteiligt waren. Dafür erhielt er eine 20-jährige Gefängnisstrafe, weitere fünf Jahre für seine Beteiligung an der »Safranrevolution« 2007, als vor allem Angehörige des buddhistischen Klerus gegen die inzwischen von Senior General Than Shwe angeführte Junta protestierten. Nach seiner Freilassung arbeitete er ab 2012 in diversen Sozialprojekten. Auch seine Witwe Ma Nilar Thein, die untergetaucht ist, gehört zur 88er-Studentengeneration; er hinterlässt zudem eine 15-jährige Tochter.

Ko Phyo Zeya Thaw (41) hatte sich als Rapper mit der 2000 gegründeten Hip-Hop-Band Acid einen Namen gemacht und gehörte 2008 zu den Gründern der von jungen Demokratieaktivist*innen getragenen Organisation Generation Wave. Nach dem Ende der Than-Shwe-Diktatur ging er mit Beginn der demokratischen Ära den Schritt in die aktive Politik und wurde Abgeordneter der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die seither unter Arrest steht und gegen die inzwischen mehrjährige Haftstrafen verhängt wurden.

Bei den jüngsten Wahlen im November 2020, deren erneuten klaren Ausgang zugunsten der NLD der Putsch verhinderte, trat der Rapper nicht erneut an, weil er sich wieder der Musik zuwenden wollte. Allerdings war er sofort nach der erneuten Machtergreifung des Militärs wieder mit bei den anfangs rein friedlichen Protesten auf der Straße, schloss sich dann auch der militanten Untergrundbewegung an.

Beide Männer waren dem Regime Ende des Vorjahres in die Hände gefallen. Ko Jimmy und Ko Phyo Zeya Thaw wurden mit zwei weiteren Insassen – Hla Myo Ang und Aung Thura Zaw – im Insein Prison gehenkt. Dabei handelt es sich um Myanmars berüchtigtes Foltergefängnis am Stadtrand der Wirtschaftsmetropole Yangon. Die vier gehörten nach der akribischen Zählung der Gefangenenhilfsorganisation Assistance Association für Political Prisoners Burma (AAPPB) zu den insgesamt 14 847 Menschen, die seit Beginn der Proteste vom Regime festgenommen wurden – davon sitzen 11 759 weiter in Haft, viele inzwischen schon zu langjährigen Strafen verurteilt. Nur gut 3000 sind inzwischen wieder auf freiem Fuß.

Die AAPPB nennt in ihrem jüngsten Tagesreport vom 22. Juli auch 2114 durch das Regime Getötete. Bisher waren das Menschen, die in der Regel beim brutalen Vorgehen der Sicherheitskräfte auf Demos erschossen wurden. Nun dürften auch die Hingerichteten in diese Statistik eingehen. Die Gesamtzahl der Toten landesweit ist ungleich höher.

Die Armee geht teilweise auch mit Luftangriffen gegen Rebellengruppen der ethnischen Minderheiten vor, diese und die People’s Defence Forces (PDF), die Streitkräfte der demokratischen Gegenregierung NUG, bekämpfen wiederum die Junta. Kambodscha, das derzeit den ASEAN-Vorsitz führt, will einen neuen Vermittlungsversuch starten. Dazu hofft Außenminister und Sondergesandter Prak Sokhonn, bei seiner nächsten Visite in Myanmar auch die inhaftierte Aung San Suu Kyi zu treffen. Bei zwei früheren Reisen wurde ihm dies verwehrt. Min Aung Hlaing wiederum leugnete am 21. Juli, dass es überhaupt einen Putsch gegeben habe – die Armeespitze habe vor knapp 18 Monaten »verfassungsgemäß« gehandelt.

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